Alternative Layer-1 (L1)-Chains waren vor ein paar Jahren ein großes Thema. Polygon, Solana, Cardano, BNB Chain und Avalanche sind einige der prominentesten Namen, die als sogenannte Ethereum-Killer in das Rennen um die Vorherrschaft der Smart-Contract-Chains geschickt worden.
Als potentielle Konkurrenzprodukte von Ethereum (ETH) haben ihre nativen Vermögenswerte während des letzten Bullruns wahnwitzig hohe Bewertungen erreichen können. Ihre Narrative lautete, dass sie dort punkten, wo Ethereum versagt hat.
Unverhältnismäßig hohe Transaktionsgebühren auf Ethereum hatten die Nutzer direkt in die Arme konkurrierender L1-Chains getrieben. Mittlerweile dürfte aber für jeden klar sein, dass Ethereum das L1-Rennen für sich entschieden hat. Mit ihren Layer-2 (L2)-Chains wie Arbitrum, Optimism, sowie weiteren in der Mache scheint zudem das Skalierungsproblem passé zu sein.
Das alles wirft eine interessante Frage auf. Wofür braucht der Bereich der Kryptowährung überhaupt noch andere L1-Chains wie Polygon, Solana, Cardano, BNB Chain und Avalanche? Werden sie in den kommenden Jahren langsam aussterben, oder sich in etwas anderes verwandeln? Vielleicht bieten sie auch nach wie vor einen bestechenden Mehrwert, den selbst die L2 von Ethereum derzeit noch nicht bieten können.
In der heutigen Ausgabe des englischsprachigen Newsletter von Ignas von DeFi Research, hat er eine, wie ich finde, äußerst interessante AMA-Runde mit Sanket Shah, dem Leiter der Abteilung für Wachstum bei Polygon geführt. In dem Interview konfrontierte er ihn mit harten, aber fairen Fragen zu Polygon (MATIC) und seiner Zukunft.
- Ist die PoS-Chain von Polygon inmitten von L2-Chains überflüssig geworden?
- Warum das Team auf technische Diversifizierung setzt
- Was ZK-Lösung ist besser: Polygons zkEVM oder die zkSync Era?
- Wie das Endgame von Polygon aussieht
Wird Polygons PoS-Chain in der Ära von L2-Chains nicht überflüssig?
Polygon, früher bekannt als Matic Network, wurde 2017 als Skalierungslösung für Ethereum eingeführt. Zu diesem Zeitpunkt gab es nur sehr wenige Skalierungslösungen, die sich demselben Problem widmeten.
Das änderte sich allerdings schnell und wenige Jahre später sah sich Polygon mit einem stetig wachsenden Wettbewerb konfrontiert. Laut Sanket Shah war das der Grund, warum Polygon sich dazu entschied, von einer Sidechain von Ethereum zu einer Multi-Chain-Skalierungslösung heranzuwachsen.
In diesem sich schnell entwickelndem und innovativen Bereich sind die einzelnen Terminologien nicht immer ganz eindeutig. So ist auch nicht jedem klar, was der Unterschied zwischen einer Sidechain wie Polygon und einer L2-Skalierungslösung wie Arbitrum ist. Im weiteren Sinne werden sie nach wie vor über einen Kamm geschert. Doch das ist, streng genommen, nicht richtig.
Eine Sidechain wie Polygon weist eine starke technische Nähe zu Ethereum auf. Das macht den Übergang von dezentralen Anwendungen (dApps) und Vermögenswerten extrem leicht. Die Blockverarbeitung läuft allerdings parallel zu der von Ethereum.
L2-Skalierungslösungen wie Arbitrum und Optimism verbuchen hingegen ihre gebündelten Transaktionen nach wie vor direkt auf der Blockchain von Ethereum. Daher wächst Ethereum auch immer mehr zu einer reinen Abwicklungsschicht heran.
Sanket Shah formulierte es, wie ich finde, sehr treffend. Er sagte, dass sich Ethereum von einer B2C-Chain zu einer B2B-Chain transformiert, wobei Transaktionen mit hohem Wert weiterhin Ethereum als Abwicklungsschicht nutzen werden.
Eine ähnliche Zukunft sieht er ebenfalls für Polygon. Des Weiteren glaubt er, dass weitere L1-Chains, die für spezifische Anwendungsfälle optimiert sind, durchaus eine Zukunft haben können. So ist Cosmos ein gutes Beispiel für eine Chain, die sich auf anwendungsspezifische Fälle konzentriert.
Sogenannte App-Chains werden in dieser Hinsicht immer mehr zu einem interessanten Thema im Bereich der Kryptowährungen. Ein prominentes Beispiel hierfür ist die dezentrale Krypto-Futures-Börse dydx. Sie hat ihre mit Hilfe von Starknet entwickelte L2-Chain aufgegeben, um auf Cosmos eine eigene App-Chain zu bauen.
Warum Polygon so viele Skalierungslösungen entwickelt
Derzeit besitzt Polygon drei Hauptprodukte. Das erste ist die Polygon PoS-Chain, die laut Sanket Shah zukünftig, ähnlich wie Ethereum, zu einer Abwicklungsschicht heranreifen soll. Die zweite ist Polygon zkEVM, was eine ZK-basierte L2-Skalierungslösung ist. Zu guter Letzt gibt es noch die Polygon Supernets. Letzteres ist ein Framework, das es ermöglicht, dedizierte Blockchains für spezifische Anwendungsfälle zu erstellen. Ähnlich wie es bei Cosmos der Fall ist.
Darüber hinaus existiert auch Polygon Miden für die Erforschung einer Stark-basierten virtuellen ZK-Maschine, die Nicht-EVM-Anwendungsfälle unterstützen wird.
Eine weitere Frage war daher, warum Polygon an so vielen verschiedenen Skalierungslösungen arbeitet, anstatt sich nur auf eine einzige zu konzentrieren. Eine faire Frage, denn schließlich ist oftmals die Spezialisierung der Schlüssel zum Erfolg.
Sanket Shah erklärte darauf hin, dass Polygon zwischen sogenannten Shared Chains (erlaubnisfreie öffentliche Chains) und Dedicated Chains (anwendungsfallspezifische Chains) unterscheidet.
Bei der PoS-Chain von Polygon und der zkEVM handelt es sich um Shared Chains. Sie sind für allgemeine Anwendungsfälle gedacht. Anwendungsspezifische Chains werden hingegen mit Hilfe des Supernet-Frameworks von Polygon erstellt. Sie konzentrieren sich auf spezifische Anforderungen, wie sie beispielsweise Spiele mit sich bringen. Ein Beispiel hierfür ist die Immutable zkEVM und die geplante Chain des Spielestudios Nexon.
Polygon zkEVM vs. zkSync Era
Eine besonders interessante Frage ist natürlich, wie sich Polygons zkEVM-Lösung von konkurrierenden Produkten abhebt. Insbesondere, da ein Wettbewerber mit zkSync Era ein bereits fertiges Produkt auf den Markt geworfen hat.
Warum also sollten dApps auf Polygon zkEVM anstatt auf zkSync Era aufbauen?
Sanket Shah sieht in der reibungslosen Erfahrung, die Polygons zkEVM Entwicklern bietet, einen klaren Vorteil. Mit ihrer EVM-Äquivalenz können Entwickler ihre Ethereum-Kontrakte einfach auf zkEVM umstellen, ohne irgendwelche Änderungen vorzunehmen. Laut Sanket Shah steht allein das in einem starken Kontrast zu seinem Kontrahenten. Er erklärte diesbezüglich:
Im Gegensatz dazu erfordert zkSync eine Transpilierung und zusätzliche Schritte, die zu Sicherheitsbedenken führen können. Wir haben auch den Onboarding-Prozess für Entwickler optimiert, wie es bei unserer PoS-Lösung der Fall ist. Der Prover von zkSync hingegen ist eine Blackbox ohne veröffentlichte Sicherheitsauditberichte, was zu potenziellen Problemen führen kann.
Ein weiteres wichtiges Unterscheidungsmerkmal sei die Leistung. Polygon soll den weltweit schnellsten und kosteneffizientesten Prover entwickelt haben.
Hier ist wichtig zu wissen, dass ein Zero-Knowledge-Beweis eine Möglichkeit darstellt, die Gültigkeit einer Aussage zu beweisen, ohne die Aussage selbst preiszugeben. Der “Prover” ist dabei die Partei, die versucht, eine Behauptung zu beweisen, während der “Verifier” für die Validierung der Behauptung verantwortlich ist. In der Welt von ZK ist es der Prover, der eine entscheidende Komponente darstellt, um die einzelnen Plattformen voneinander zu unterscheiden.
Sanket Shah betont zudem, dass einige Aspekte von zkSync, wie z. B. die Dokumentation und das Fehlen von Prüfnachweisen, übereilt erscheinen. Daher glaubt er, dass Polygon zkEVM im Vergleich zu zkSync Era eine entwicklerfreundlichere und robustere Lösung bietet.
Andere sind anderer Meinung…
Etwas anders sieht das Adam Cochran, ein bekannter Analyst im Bereich der Kryptowährungen. Er behauptete in einem Tweet, dass Era aufgrund von drei Dingen besser sei.
Zu aller erst bietet die Lösung einen klaren Weg zur Dezentralisierung des Sequenzers. Ein solcher Sequencer ist für die Sortierung von Transaktionen zuständig und zeichnet die Transaktionen auf der jeweiligen Blockchain auf. Damit ist er eine Schlüsselkomponente für jede Blockchain.
Laut Sanket Shah wolle Polygon die Dezentralisierung nicht überstürzen und der einwandfreien Funktionalität den Vorrang geben. Des Weiteren arbeiten, laut ihm, derzeit alle L2-Chains mit zentralisierten Sequenzern.
Doch Adam Cochran hat bereits einen weiterer Grund dafür parat, warum er die zkSync Era favorisiert. Denn laut ihm würde das Team von Polygon einen Tech-Stack nutzen, der mit jedem Ethereum-Upgrade technische Schulden verursacht.
Solche technische Schulden entstehen, wenn Entwicklungsteams eine schnelle Fertigstellung gegenüber einem möglichst perfekten Code priorisieren. Ein solches Vorgehen führt oftmals zu aufwendigen und komplizierten Anpassungen in der Zukunft. Damit steht diese Aussage von Adam Cochran in einem starken Kontrast zu der von Sanket Shah, der das Vorgehen des Teams hinter zkSync Era hingegen als übereilt bezeichnete.
Darüber hinaus nennt Adam Cochran die native Kontoabstraktion als klaren Vorteil von zkSync Era gegenüber dem Produkt von Polygon als letzten Grund. Polygon hingegen arbeitet noch mit Partnern wie Stackup und Alchemy an einer nativen Implementierung.
Polygons Endgame
Zu guter Letzt ist die große Frage, was das Endziel von Polygon ist. Die Antwort darauf war, dass es das Hauptziel sei, Ethereum zu skalieren und seinen Blockspace zu erweitern.
Hierfür soll Polygons PoS-Chain schon bald ein großes Upgrade erfahren. Das Team möchte nämlich mit der Kritik aufräumen, dass eine Sidechain keine echte L2-Chain ist. Dafür möchten sie umrüsten und zu einer echten L2-Chain von Ethereum werden.
Diese Aussage von Sanket Shah impliziert, dass Polygon zukünftig die Blockchain von Ethereum ebenfalls als Abwicklungsschicht nutzen möchte. Ein interessanter Gedanke. Wie genau das allerdings aussehen soll, kann ich mir aktuell nur schwer vorstellen. Sanket Shah sprach in diesem Zusammenhang von einer Art “Mini-Merge”. Weitere Details sollen bis zum Ende diesen Monats noch folgen.
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